Die Junkie-Oma

So, endlich Wochenende!
Und was war das für eine Woche? Am Montag der irre Richter, dann Mittwoch Termin beim ZDF zu einer Diskussion über mein Lieblingsthema, die Homöopathie - überraschenderweise ohne sinnigen Ausgang - und zu guter Letzt Sprechstunde und Patientenbetreuung ohnehin die ganze Zeit. Da freut man sich doch wenn Freitag ist. Oder wie meine Kinder zu sagen pflegen: Hoch die Hände, Wochenende.

Hinzu kommt, dass dieser Samstag ein ganz besonderes Highlight bereithält. In Nürnberg findet nämlich die legendäre Whyskeymesse “The Village” statt. Dort kann man sich als Fan der schottischen Destille nach Lust und Laune durch verschiedene Geschmacksrichtungen durchprobieren. Allerdings muss man das Zeug schon mögen und darf nicht finden, um es mit den Worten meiner geliebten Frau zu sagen, dass die Plörre schmeckt wie abgebrannte Autoreifen. Na ja, ich freue mich jedenfalls am Wochenende in Nürnberg zu sein. So richtig wegballern darf ich mich allerdings nicht, denn direkt am nächsten Tag habe ich gleich wieder Bereitschaftsdienst. Dort erlebt man im Übrigen die verrücktesten Dinge. So wie letzte Woche. Mein Fahrer und ich wurden in ein Altenheim gerufen, indem es einer älteren Dame wohl ziemlich schlecht gehen sollte. Da wir aktuell mal wieder eine Infektwelle ertragen müssen ging ich von einer entsprechenden Störung aus. Bei älteren Menschen machen sich Infekte oft deutlich schwerwiegender bemerkbar als bei jüngeren. Nicht selten kann man eine einfache Grippe hier sogar mit einem Schlaganfall verwechseln.

In diesem Sinne kamen wir also im Heim an und ließen uns vom Pfleger eine Einweisung in die Vorgeschichte und die aktuellen Probleme der Patientin geben. Ich studierte den Diagnosen- und Medikamentenplan und schaute mir genau die Vitalfunktionen, also diejenigen Körperparameter, die man unmittelbar messen kann, an. Was komisch war: Die Omi hatte kein Fieber. Das sprach mal grundsätzlich gegen einen Infekt. Klar, gerade im Alter gibt es auch häufig afebrile Verläufe, aber auch die anderen Vitalzeichen passten nicht so richtig. Der Puls war eher niedrig, die Sauerstoffaufnahme war gut. Eigentlich war die 87-Jährige pumperlgesund, wie man bei uns sagt. Das Problem war nur - sie lag relativ apathisch im Bett, aß und trank kaum. Die besorgte Tochter befand sich ebenfalls im Raum und verlieh ihren Sorgen Ausdruck, dass es nun langsam zu Ende gehen könnte mit der Mutti. So ganz von der Hand zu weisen war diese Theorie nicht. Häufig hören demente Menschen irgendwann auf zu essen und zu trinken, weil sie es schlicht vergessen. So sterben diese Patienten dann ganz friedlich. Blöd nur, dass die Omi gar nicht dement war. Dieser Umstand sprach so ein Bisschen gegen die Theorie des unmittelbaren Sterbeprozesses. Aber was war dann los?

Im Rahmen der körperlichen Untersuchung fiel mir ein interessantes Detail auf. Die Pupillen der älteren Dame waren eng - sehr eng. Und das obwohl es im Zimmer ziemlich dunkel war. Normalerweise sind Augen bei Dunkelheit weit gestellt, damit nämlich mehr Licht auf die Netzhaut treffen kann. Der Umstand, dass dem hier nicht so war lies mich aufmerken. Was war hier los? Ich erkundigte mich nach eventuellen Besonderheiten, Medikamentenumstellungen und ähnlichem - und tatsächlich: Darauf angesprochen offenbarte mir der diensthabende Pfleger, dass sich in den letzten Tagen etwas geändert hatte. Just am Tag zuvor war der Hausarzt nämlich auf die Idee gekommen der alten Damen erstmals in ihrem Leben ein Opiatpflästerchen zu gönnen - wie nett. Der Grund erschloss sich mir zwar nicht, hatte Omi doch gar nicht über Schmerzen geklagt, aber was soll’s… Zumindest hatte ich jetzt meine Diagnose. Die gute Frau war einfach nur drauf - und zwar volle Kanne Banane. Lecko mio….

Ich ordnete an, das Pflaster zu entfernen und verabschiedete mich. Immer in dem Bewusstsein, dass ich der Patientin gerade einen schönen Tripp versaut hatte. Aber so sind wir Ärzte nun einmal. Als ich ein paar Stunden später erneut im Heim anrief wurde mir mitgeteilt, dass es der Patientin besser ging und sie wieder am tristen Alltag ihres präterminalen Daseins teilnehmen konnte. Die Glückliche.

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Auf hoher See und vor Gericht…