Auf hoher See und vor Gericht…

… ist man in Gottes Hand - sagt ein Sprichwort.
Ich musste gestern erleben, dass dem wirklich so ist.

Bisher war ich durchaus ein Verfechter unseres Rechtssystems und habe auch an dessen Unabhängigkeit geglaubt. Dieser Glaube hat nun einen hässlichen Kratzer bekommen.
Ich war als Zeuge in einem Strafprozess geladen, bei dem es um eine milde Straftat ging. Im Grunde nichts Wildes. Schon im Vorfeld war mir unklar, wieso man diesen Prozess überhaupt hatte stattfinden lassen, hört man doch immer wieder von Einigungen ohne Prozess, was mir bei geringfügigen Delikten doch die, für den Steuerzahler sinnvollere Lösung zu sein scheint. Aber, so dachte ich mir - nicht mein Bier.
Meine Rolle im Verfahren war, so dachte ich, eine absolut periphere. Ich hatte den Angeklagten bei einem vorherigen Termin krank geschrieben. Nicht aus Gefälligkeit oder weil er mir leid getan hat, sondern weil der Bursche tatsächlich krank war. Dass ich diesen, ein paar Minuten dauernden Akt nun vor Gericht bezeugen sollte schien mir schon einigermaßen skurril, weshalb ich im Büro des Richters anrief und ihn darum bat mich schriftlich äußern zu dürfen. Der Termin war (wie ich im Nachhinein annehmen musste, mit Absicht) auf einen Montag morgen angesetzt - high noon in einer Arztpraxis. Auf meine Anfrage hin wurde mir mitgeteilt, dass ich unbedingt persönlich zur Verhandlung kommen sollte. Die Sache wurde immer suspekter. Aber na ja, dachte ich - wenns der Wahrheitsfindung dient. Und ging meiner Bürgerpflicht nach. Für die Patientenversorgung war in diesem Zeitraum leider nicht gesorgt und selbstverständlich übernimmt das Gericht die Ausfallkosten NICHT. Erscheint man aber nicht, so bemisst sich die Strafe der zu zahlenden Tagessätze am realen Gehalt. Nur mal so nebenbei.

Als braver Bürger mit einer Menge Vertrauen ins System kam ich also eine halbe Stunde vor Prozessbeginn im Gerichtsgebäude an und musste feststellen, dass Pünktlichkeit wohl eher so ein theoretisches Konstrukt war. Zumindest in dieser Strafkammer. Nach einer wunderbaren Stunde auf einer wunderbaren Holzbank wurde ich dann als Zeuge aufgerufen. All das, wegen einer einminütigen Aussage, dachte ich mir und sollte unmittelbar erfahren, dass der Herr Richter mein Erscheinen vollumfänglich auskosten würde.
Mein Wissen in punkto Strafrecht. reduziert sich auf das Studium der Netflix-Serie “How to get away with murder!”, weshalb ich mir nicht ganz sicher war, weshalb der Staatsanwalt auf dem Sitz des Richters Platz genommen hatte. Irgendwann wurde mir aber natürlich klar, dass der völlig angriffslustige Kerl da oben gar nicht der Staatsanwalt war, sondern, dass der Richter nur dessen Aufgabe übernommen hatte. Denn der eigentliche Staatsanwalt war genauso gelangweilt von dem Zirkus, wie der Rechtsanwalt des Angeklagten.
Aggro-Richter befragte mich also fast zwei Stunden über das simple Ausstellung einer Verhandlungsunfähigkeitsbescheinigung und bezichtigte mich ganz implizit selbst eine Straftat begangen zu haben - natürlich ohne mich über meine Rechte aufzuklären. Hinzu kam, dass sich dieser Typ einfach benahm, wie ein kleiner Flegel, der von seinen Eltern definitiv zu wenig Liebe abbekommen hatte - ein narzisstischer Machtmensch, wie man ihn nicht besser erfinden konnte - eigentlich ein Fall für den Proktologen! Ich wusste überhaupt nicht was der Mann eigentlich von mir will! Der allerdings offenbar schon, denn der Herr Richter befragte mich in bester Despotenmanier über jedes Detail des Krankschreibvorgangs. Das Ganze ging soweit, dass jeder, der die Bescheinigung nur in der Hand hatte gebeten wurde beim nächsten Treffen der illustren Runde zu uns zu stoßen.

Nebenbei war der oberste Rechtshüter aber auch ausgesprochen unverschämt, behandelte mich und die Anwälte wie kleine, dumme Kinder und verlor mehrmals jede Form der Höflichkeit. Und warum? Wegen einer fucking Krankmeldung. Da ich, wie schon erwähnt nochmal die Freude haben werde mich mit dem Herrn auseinandersetzen zu müssen besorgte ich mich direkt nach dem Verhör einen Zeugenanwalt. Ja, sowas gibt es tatsächlich. Das sind Juristen, die Zeugen zur Seite stehen, wenn andere Organe der Rechtspflege eklatante Verstöße begehen, wie das Unterlassen einer Aufklärung, etc. Allerdings ist diese Art des Beistands auch die einzige Möglichkeit, die man hat. Belangen kann man, das musste ich lernen, unverschämte oder, nennen wir es pflichtvergessene Richter leider nicht.

Was hat diese Erfahrung jetzt in mir hinterlassen? Eine große Leere - und zwar im Vertrauen auf unseren Rechtsstaat. Es war offensichtlich, dass dieser Richter maximal befangen war und (das bekam ich später raus) für dieses Verhalten auch in der Szene bekannt ist. Man erklärte mir im später, dass es hier schlicht darum ging, dass der Richter mir beweisen wollte, ich hätte den Patienten gar nicht gesehen. In so einem Fall hätte er den Fall, der sich wohl in Berufung befand, einfach abschmettern können, was ihm die lästige Arbeit des Verfassen eines schriftlichen Urteils erspart hätte. Und nur darum ging es wohl im Kern. Wir alle zahlen Steuern für ein System, von dem wir glauben, dass es fair ist, dass wir uns im Zweifel darauf verlassen können. Und dieses Geld wird für Richter verballert, die persönliche Fehden gegen Angeklagte führen, die sie einfach nicht leiden können. Das hat doch mit einem neutralen Rechtsstaat nichts zu tun, oder? Klar, vermutlich handelte es sich um einen Einzelfall, blabla…. Aber glaubt ihr das wirklich? Ich habe meine Zweifel - daran, dass meine Erfahrung ein Einzelfall war und an unserem Rechtsstaat!

 
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Die Junkie-Oma

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