Prügelknabe MVZ - Die gefährliche Lobby der Einzelkämpfer

Vor ein paar Tagen wurde der Erlanger Hausarzt Thomas Wunderlich von den Erlanger Nachrichten bei einem Hausbesuch begleitet. Eigentlich nichts Spektakuläres. Der Artikel sprach eine klare Sprache: Ich, der tolle Hausarzt sorge mich um meine Patienten, die ohne mich gar keine medizinische Behandlung genießen könnten. Ich bin ein ganz toller Hecht. Ein klassischer Lobby/Selbstvermarktungsartikel, wie man ihn halt kennt. Das schwierige war, dass Wunderlich in einem Nebensatz auf seinem offenkundigen Lieblingshassthema rumgeritten ist und (mal wieder) die bösen Medizinischen Versorgungszentren (MVZs) beschimpft hat. Man müsse deren Verbreitung stoppen, die Zentren seien gewinnorientiert und profitgetrieben.

Was man nun wissen muss: „Kollege“ Wunderlich, selbst Funktionär und Lobbyist, rennt bei ungefähr jeder Demo, bei der es darum geht, dass niedergelassene Ärzte noch ein kleines Bisschen mehr Kohle bekommen, ganz vorne mit. Gewinnorientierter als Wunderlich geht überhaupt nicht. Dass sich genau dieser Typ jetzt gegen MVZs stellt ist skurril. Grundsätzlich ist es ja nicht falsch, dass auch Arztpraxen profitabel arbeiten - anders ginge es überhaupt nicht. Leider wird das durch niedergelassene Einzelkämpfer, eine Gattung die im Aussterben begriffen ist, viel zu häufig negiert oder besser ignoriert. Fahren die Kollegen nicht alle mindestens einen Fünfer? Wohnen sie nicht alle im eigenen Haus? Von mildtätigen Gaben der Patienten - ein Apfelkorb hier, eine Schachtel Pralinen dort - kommt dieser Wohlstand eher nicht. Und das Ganze funktioniert auch mit einer übersichtlichen Mengen an Arbeit.

Der Hang zum Profit des Kollegen zeigte sich insbesondere in der Coronazeit, eine Epoche, in der die Niedergelassenen mit Geld überschüttet wurden. Hier war es Herrn Wunderlich immer noch nicht genug. Es wurden Briefe nach Berlin geschrieben um sich über die furchtbare Arbeitsbelastung zu beschweren. Während die meisten anderen Ärzte die Füße stillhielten und sich dankbar ob des plötzlich sehr freigiebigen Gesundheitsministeriums gezeigt haben, konnte es für den Erlanger Arzt nicht genug sein.

Meine Kritik entzündet sich also zum einen am Absender. Aber selbst wenn man dessen marginale Bedeutsamkeit mal zur Kenntnis nimmt und seine verbalen Ergüsse als das sieht was sie sind - irrelevant, so steckt doch ein größeres Problem dahinter, nämlich die Ablehnung vieler vernünftiger Ärzte gegen MVZs. Für alle, die nicht so tief im Thema sind möchte ich mal ein Abriss darüber geben, um was es sich bei solchen Zentren eigentlich handelt: Ein MVZ ist eigentlich nichts anderes als ein zulassungsrechtliches Konstrukt, dass mehreren Ärzten, manchmal verschiedener, manchmal der gleichen Fachrichtung erlaubt gemeinsam miteinander zu arbeiten. Eigentlich ist ein MVZ eine Art Krankenhaus im niedergelassenen Bereich. Und natürlich ohne Betten. Das Gute daran: Ärzte können hier einfach ganz normal angestellt werden. Vor der Einführung der medizinischen Versorgungszentren im Jahr 2004 ging das nämlich nicht. Wollte man als Arzt in der Praxis arbeiten, so war man gezwungen sich wirtschaftlich selbstständig zu machen. Vielen Medizinern blieb diese Arbeit deshalb verwehrt. Gerade Teilzeit-Ärzte mit kleinen Kindern konnten es sich nicht leisten einen Kredit aufzunehmen und sich das Risiko von Fixkosten an die Backe zu binden. Sie waren verdammt im Krankenhaus zu den Konditionen des Chefarztes zu knechten, Dienste zu schieben und zu buckeln ohne vernünftig bezahlt zu werden. Wer das nicht wollte, der musste seine Karriere als Arzt ziemlich schnell wieder beenden.

Das Konstrukt des MVZs machte damals Schluss mit dieser Ungerechtigkeit. Auch in meinem MVZ beschäftigen wir fast ausschließlich Teilzeit-Ärzte - junge Kollegen mit Familie, alleinerziehende Mütter und sogar einen alleinerziehenden Vater. Wir unterstützen jede Form von Familienfreundlichkeit ganz aktiv und versuchen unseren Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben Familie und Job unter einen Hut zu bekommen. Was soll daran schlimm sein? In einer Selbstständigkeit funktioniert das nicht. Es heißt nicht umsonst selbst und ständig. Wenn meine angestellten Ärzte nach Hause gehen ist Feierabend. Sie müssen sich um nichts mehr kümmern. Hinzu kommt, dass medizinische Versorgungszentren niemandem etwas wegnehmen. Die meisten Ärzte, die sich über uns aufregen haben Patienten-Aufnahmestopp. Die haben gar keine Kapazitäten um sich um noch mehr Menschen zu kümmern. Man wirft den MVZs vor, sie breiten sich aus und nehmen den Niedergelassenen am Ende den Job weg - das klingt doch irgendwie nach: Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg. Diffuse Ängste werden auf das gelenkt, was man nicht kennt, was fremd ist. Das Gegenteil ist im Übrigen der Fall: MVZs sind für ältere Praxisinhaber oft der einzige Weg um ihre Praxis noch irgendwie zu verkaufen. Denn niederlassungswillige Jungärzte gibt es so gut wie gar nicht mehr.

Und dann war da noch der Vorwurf der Gewinnorientierung! Jedes Unternehmen ist nun einmal gewinnorientiert. So funktioniert unser Gesundheitssystem. Auch eine Arztpraxis muss Gewinn erwirtschaften. Sonst geht sie pleite. Im MVZ ist das genauso. Nur, dass hier viel mehr Menschen mit Familie und Jobs dranhängen. Am Ende bleibt es ein Neben- und im besten Fall ein Miteinander. Solange es jedoch die ideologisch verblendeten Altärzte noch gibt, solange sehe ich darin eine gewisse Schwierigkeit. Aber auch dieses Problem werden Zeit und am Ende Biologie lösen.

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